Krieg im Krieg: Erinnerung an Sedan

Beim Durchsehen und Sortieren der von Opa Franz hinterlassenen Karten ist mir ein Motiv immer wieder begegnet: Sedan. Zwar gibt es ein paar Ortsmarken, die im Laufe der Jahre als Postkartenmotiven wieder kehren, aber keines so häufig wie Sedan. Woran liegt das?

Feldlazarett Turenne in Sedan

Feldpostkarte Erster Weltkrieg Sedan
Der Bahnhof von Sedan mit französischen Soldaten „im Paradeschritt“.

Vordergründig ist die Sedan-Häufung ganz einfach zu erklären: Zwischen Ende Oktober 1915 und Ende November 1915 liegt Franz Mack zum ersten Mal in diesem Kriege für längere Zeit in einem Lazarett. Dieses Lazarett befindet sich am Place Turenne in Sedan. In diesem Zeitraum schickt er also elf Karten mit Ansichten von Sedan an seine Eltern in Nürnberg.

Sieben davon können als „normale“ Postkarten durchgehen. Sie zeigen beispielsweise den Bahnhof, das Stadthaus oder ein Museum. Vier dieser Karten allerdings gewähren etwas tiefere Einblicke in den Zeitgeist, der damals herrschte.

Sedan als Baustein nationaler Identität

Da wäre zum Beispiel Franz‘ Karte vom 29.10.1915: Zu sehen ist dort die so genannte Friedenseiche, die an die Gefallenen vom 31. August und 01. September 1870 erinnert. An dieser Stelle lohnt es sich, sich ein Ereignis vor Augen zu führen, dass in der heutigen, bundesrepublikanischen Erinnerungskultur keine Rolle mehr spielt, für die Zeitgenossen von Opa Franz aber ein entscheidender Baustein der nationalen Identität war: Die Schlacht von Sedan.

Feldpostkarte Erster Weltkrieg Sedan-Torcy
„Von dieser Höhe aus beschossen die deutschen Batterien die Stadt Sedan.“

Der Sieg des Norddeutschen Bundes über die Franzosen im Krieg von 1870 ebnete damals den Weg zur Gründung des Deutschen Kaiserreiches. Ebendiese Reichsgründung geschah dann gut ein halbes Jahr nach dem Sieg über die Franzosen in Sedan. Und zwar am 16. April 1871 im Spiegelsaal des Schlosses von Versailles mit der Proklamation des Preußenkönigs Wilhelm I. zum Deutschen Kaiser.

Sedan ist also ein zentraler Erinnerungsort für den deutschen Soldaten im Ersten Weltkrieg, wie mein Opa Franz einer war. Besonders deutlich wird dies, wenn man bedenkt, dass damals im Kaiserreich alljährlich (und zwar jeweils am 02. September, dem Tag der französischen Kapitulation) der so genannte Sedantag gefeiert wurde.

Die Schlacht von Sedan aus bayerischer Sicht

Feldpostkarte Erster Weltkrieg Sedan-Bazeilles
Schon damals ein Museum: Das „Haus der letzten Patrone“.

Zwar war dieser Feiertag schon damals nicht ganz unumstirtten, allerdings dürfte Sedan während des Ersten Weltkriegs als Symbol für einen (erhofften) schnellen Sieg über den „Erbfeind“ Frankreich gedient haben. Nicht ganz unwichtig dürfte für den Franken Franz Mack und seine Kameraden und Zeitgenossen auch der Umstand gewesen sein, dass bayerische Truppen einen entscheidenden Anteil am Sieg von Sedan gehabt hatten.

Am 19. November 1915 schickt Franz Mack eine Karte mit der Ansicht des sogenannten „Haus der letzen Patrone“ an seine Eltern nach Nürnberg. Dieses Haus in Sedan-Bazeilles war damals schon als Museum eingerichtet und kann auch heute noch besucht werden. Im Krieg von 1870 hatten sich hier französische Truppen auf ihrem Rückzug vor den Deutschen verschanzt und das Haus sprichwörtlich „bis zur letzten Patrone“ verteidigt – und zwar wieder gegen bayerische Truppen.

Bismarck und Napoleon

Ein weiteres Gebäude mit Erinnerungswert zeigt Franz‘ Postkarte, die er wenige Tage zuvor, am 15. November 1915, nach Hause geschickt hatte: Im Weberhäuschen von Donchery hatten sich 45 Jahre zuvor die Staatsmänner Napoléon III. und Otto von Bismarck nach der Sedan-Schlacht getroffen, um die französische Kapitulation in die Wege zu leiten.

Feldpostkarte Erster Weltkrieg Donchery
Das Weberhaus, Treffpunkt von Bismarck und Napoleon III.

Man kann also sagen, dass der Sedan-Mythos für den Waffengang von 1914 als Vorbild und Symbol wahrgenommen wurde. In der Erinnerungskultur sowohl der Soldaten als auch der Zivilisten war der Sieg von 1870 fest verankert. Im Weltkriege von 1914 galt es demnach, das rund 45 Jahre zuvor durch einen erfolgreichen Feldzug gegen die Franzosen errungene Kaiserreich erneut auf deren Boden zu „verteidigen“.

Für Franz Mack und seine Kameraden dürfte dabei auch die Beteiligung bayerischer Truppen am Sedan-Mythos eine Sinn stiftende Triebkraft für die eigene Beteiligung am Weltkrieg gewesen sein. Dass die Geschichte anders enden würde und das Versailles diesmal eine völlig andere Rolle spielen würde, ahnte man damals noch nicht.

Enkel von Franz Mack. Studierter Historiker, ausgebildeter Journalist, Blogger und Autor. Dreht Filme als dervideograf.de.

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