„Krampf und Aufbau“ – Franz wird während der Nazi-Zeit denunziert

Auf der Suche nach Quellen zu meinem Großvater dachte ich eigentlich, schon so ziemlich alles abgegrast zu haben. Daran, dass es über Opa Franz noch eine Personalakte geben müsste, hatte ich überhaupt nicht gedacht.

Warum auch? Schließlich war mein Opa bereits vor 56 Jahren (1960) in Rente gegangen. Unwahrscheinlich, dass die Stadt Nürnberg seine Akte so lange aufheben würde.

Was ich dabei übersehen hatte: Meine Großmutter bezieht noch bis auf den heutigen Tag eine Hinterbliebenenrente über meinen Opa. Deshalb müsse es doch da eigentlich noch eine Personalakte geben – meinte zumindest ein Ahnenforscher nach meinem Vortrag über Opas Krieg auf einem Treffen der Bonner Ortsgruppe der Westdeutschen Gesellschaft für Familienkunde zu mir.

Und der Mann hatte recht! Nach einigen Telefonaten und Emails, erst mit dem Stadtarchiv Nürnberg, dann mit dem dortigen Personalamt, die Gewissheit: Opa Franz‘ Personalakte, über 200 Seiten stark, existiert noch! Puh.

Beim Personalamt reagierte man erst etwas zurückhaltend auf mein Interesse an der Akte. Datenschutz, Dienstweg, Aufwand und so. Aber nachdem ich von meinem Projekt erzählt hatte, schien meine Begeisterung für die Spurensuche auch auf das Personalamt übergesprungen zu sein.

Dank ans Personalamt

Auch an dieser Stelle muss ich mich noch einmal herzlich bei Frau Hofmann vom Personalamt der Stadt Nürnberg bedanken, denn nach dem sie die Akte ausgemacht und in ihr ein wenig gestöbert hatte, merkte ich, dass auch sie verstand, dass sie ein Stück relevante (Stadt-)Geschichte in den Händen hielt.

Frau Hofmann kopierte mir einige Seiten aus der Akte heraus und schickte sie mir per Post nach Bonn – denn einen kurzen Abstecher ins ca. 400 Kilometer entfernte Nürnberg wäre mir doch bei allem Feuer, das in mir für Opas Krieg brennt als frisch gebackener Papa grade etwas viel.

Da Opa Franz selbst sein Leben ja durch seine Sammelwut im Aktenordner ganz gut dokumentiert hat, war meine Hoffnung auf echte Überraschungen, die für mich noch ein neues Licht auf meinen Großvater werfen würde, eher gering.

Aber es gab doch eine Überraschung, die zwar über das auf Opas Krieg im Fokus stehende Zeitfenster „Erster Weltkrieg“ hinausgeht, aber dennoch so interessant ist, dass sich ein genauerer Blick hierauf im Blog mehr als nur lohnt.

Mack, der Marxist?

Opa Franz hatte nämlich Stress mit den Nazis. „Stress“ ist vielleicht untertrieben, denn die Sache hätte damals auch leicht ins Auge gehen und vielleicht sogar tödlich für ihn enden können.

Opa Franz wurde im Juli 1933 denunziert. Der Vorwurf: Er sei Marxist und stehe so natürlich dem Nationalsozialismus feindschaftlich gegenüber:

 

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Zur besseren Einordnung dieser Denunziation sind drei Dinge zu erwähnen:

  1. Opa Franz war erst im Jahr 1928, sozusagen „auf dem zweiten Bildungswege“ Angestellter bei der Stadt Nürnberg geworden, die unter den Nazis zur „Stadt der Reichsparteitage“ geworden war und die sich auch wenig später unrühmlich in den so genannten „Nürnberger Gesetzen“ (1935) unsterblich machen sollte, welche die antisemitische Ideologie der Nazis zur gesetzlichen Grundlage erhoben.
  2. Der Denunziation war das so genannte „Gesetz zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums“ vorausgegangen (erlassen am 07. April 1933). Auf dessen Grundlage (§ 4) führten die Nazis erfolgreich eine politische Säuberung des Staatsdienstes durch. Das Ziel: Jüdische und politisch anders denkende Beamte zu entfernen und durch linientreue zu ersetzen.
    Aber nicht nur vermeintliche politische Gegner, sondern auch solche Beamte, die nach 1918 in den Beruf eingetreten waren „ohne die für ihre Laufbahn vorgeschriebene oder übliche Vorbildung oder sonstige Eignung zu besitzen“ (§ 2) wurden aus ihren Ämtern entfernt.
    Für den erst seit 1928 bei der Stadt beschäftigten, gelernten Schuhmacher Franz Mack, bedeutete dies natürlich eine Gefahr, obwohl er sich ja beruflich weitergebildet hatte, bevor er seine Stelle bei der Stadt antrat.
  3. Opa Franz war von 1929 an bis zu ihrem Verbot durch die Nazis am 22. Juni 1933 Mitglied der SPD gewesen.
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Franz Mack, 1933.

Auch wenn man unweigerlich über den Franz in den Mund gelegten Spottausdruck „Krampf und Aufbau“ und über die generelle Kleingeistigkeit der Denunziation schmunzeln muss, so wird mit diesem Hintergrundwissen deutlich, wie ernst und gefährlich die Lage für Opa Franz im Jahr 1933 geworden war: Schlimmstenfalls drohte ihm Inhaftierung, sollte sich der Marxismusvorwurf gegen ihn erhärten lassen. Weniger schlimm, aber immer noch bitter wäre der Verlust seines Postens, sollte sich herausstellen, dass er nicht qualifiziert genug für diesen sei, wie die Denunziation es andeutete.

Franz muss sich rechtfertigen

Fünf Tage nachdem die Vorwürfe gegen ihn den Amtsweg nehmen muss Franz Stellung beziehen, denn die Denunziation gegen ihn hat eine innerbehördliche Untersuchung in Gang gebracht. Den Marxismus-Vorwurf kanzelt er in einem Schreiben kurz mit Verweis auf seinen Kriegsdienst ab, die Mitgliedschaft in der SPD versucht er nun herunterzuspielen:

I. Auf die mir heute eröffnete Unterstellung, dass ich immer „Marxist“ war und in witzigen Bemerkungen meine Gegnerschaft zum Staate ausgedrückt hätte, darf ich meinen Lebenslauf zum Beweis der Entlastung anbieten.

Not und Arbeit schufen mir bald die Erkenntnis, dass die politische Zerissenheit des Volkes zum Zusammenbruch führen muss. In den 16 Jahren wo ich als Arbeiter den Ver.(einigten) Schuhfabriken (Berneis-Wessels) angehörte, habe ich immer auf die von „politisch aufgeklärten Mitarbeitern“ propagierte Ansicht, dass der Unternehmer der Todfeind des Arbeiters sei, meinen Standpunkt erwidert, dass Arbeiter und Unternehmer schicksalhaft verbunden sind mit Volk und Vaterland. Wie meine Bemühnungen von Erfolg waren und später wieder von den Parteimännern wieder zerschlagen wurden bin ich gerne bereit ein andermal darzulegen.

Meiner Mitgliedschaft bei der S.P.D. ging kein Antrag bzw. Gesuch voraus. Wenn ich nach langen Jahren den fortgesetzten Werbungen, Anredungen und Drohungen erlag so bitte ich das nicht als Gesinnungswechsel zu deuten. Auf dem Umwege über meine Frau wurde mir das Buch (=Parteibuch, C.M) angedreht und als ich nach Monaten davon erfuhr – es war z.Zt. wo ich meine ganze freie Zeit zur Vorbereitung für die Verwaltungsprüfung verwendete – wollte ich nichts ändern. Als ich sehen musste, wie die Herren mit denen ich mich als Arbeiter nur in harten Worten auseinander setzte in den Amtszimmern gehuldigt und geschmeichelt wurden versprach ich mir von einer neuerlichen Gegenerschaft keinen Vorteil.

Von witzigen Bemerkungen gegen den neuen Staat ist mir nichts bekannt und ich sehe einer Aufklärung an Ort und Stelle mit den beteiligten Personen entgegen.

II. Herrn W.

Nürnberg, 31. Juli 1933

Mack Franz

[Hier klicken, um das Originaldokument zu öffnen]

Am 01. August 1933 stellt sich glücklicherweise sein Arbeitgeber, das Städtische Wohlfahrtsamt, hinter Franz. In einer Art Zeugnis heißt es, Franz erledige seine Arbeit „mit großem Eifer, rasch und zur Zufriedenheit“. Sein Betragen im Dienst sei „einwandfrei“, das Verhalten „ruhig und neutral“. Weiterhin wird auf Franz‘ abgelegte Prüfung an der Bayerischen Verwaltungsschule und auf dessen schwere Kriegbeschädigung hingewiesen.

Ein weiterer Belastungszeuge

Das allein erledigt die Angelegenheit allerdings nicht, denn Franz‘ Gegner im Amt legen nach. Ein weitere Belastungszeuge wird am 04. April 1933 aufgeführt:

belastungszeuge_klein_verpixeltIn dieser Aussage eines Kanzleisekretärs sind Franz‘ berufliche Eignung und die Marxismus-Vorwürfe zwar kein Thema mehr, seine „nationale Treue“ wird aber weiterhin angezweifelt und somit nach nun geltender Unrechtslage auch seine Eignung als Beamter.

Nun schaltet sich auch das Personalamt der Stadt ein, um zu den Vorwürfen Stellung zu beziehen, Franz‘ Mitgliedschaft in der SPD habe seine Anstellung bei der Stadt begünstigt. Am 16. August wird folgendes in Franz‘ Akte vermerkt:

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Im Raum bleiben aber nun noch Franz‘ angebliche Spottäußerungen gegen den NS-Staat. Hier führt der Denunziant am 17. August weitere mutmaßliche Zeugen des Ausspruchs „Krampf und Aufbau“, den Franz benutzt haben soll, ins Feld. Der Denunziant gibt nun an, der Ausspruch sei in Franz‘ Dienstzimmer gefallen und benennt fünf Mitarbeiter, die den Spottausdruck bezeugen könnten. Außerdem gibt der Denunziant an, dass „einige der genannten Personen über die Äusserung des Mack gelacht haben“, er sich darüber sehr geärgert, es aber leider versäumt habe, Franz zurecht zu weisen.

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Randvermerk in Franz‘ Personalakte.

Durch die Benennung konkreter Personen, die „Krampf und Aufbau“ aus Franz‘ Mund bestätigen könnten, kommt nun eine behördliche Untersuchung in Gang, die nun den Stempel „Eilt sehr / Terminsache!“ trägt.

Unterstützung aus den eigenen Reihen

Franz hat Glück, denn die Kollegen halten zu ihm. Die Zeugen werden nach und nach gehört und alle geben an, sich an Spott gegen den NS-Staat aus Franz‘ Mund „absolut nicht erinnern“ zu können und bereit seien, ihre Aussagen „auf Eid zu nehmen“.

Auch der damalige Oberinspektor der Abteilung stellt sich am 18. August 1933 mit seiner Aussage hinter Franz und bekräftigt die Glaubwürdigkeit seiner Untergebenen. In der Akte wird vermerkt, dass Franz‘ auf Grund der Zeugenaussagen nicht mehr persönlich vernommen werden muss. Allerdings wird auch der Denunziant als „glaubwürdig“ bezeichnet:

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Franz kontert erneut

Der Vorgang könnte nun als abgeschlossen betrachtet werden. Für Franz war er es offenbar allerdings nicht, denn ein Restzweifel an seiner „Treue zum neuen Staat“ scheint innerhalb des Amtes an ihm haften geblieben zu sein. Deshalb hält Franz es für nötig, am 25. August eine zweite Rechtfertigungsschrift nachzulegen. Diesmal in Form eines Briefes, der sich nicht in Franz‘ Personalakte, sondern in seinem persönlichen Aktenordner aus seinem Nachlass wieder findet. In seinem Brief wendet er sich nun an den obersten Herren der Stadt, Bürgermeister Willy Liebel.

Und die zweite Rechtfertigungsschrift von Opa Franz hat es in sich. Ich bin geneigt zu sagen, dass es sich – gemessen an seinen limitierten Mitteln, was höhere Schulbildung angeht und an Franz‘ erstem Rechtfertigungsversuch vom 31. Juli 1933 – bei diesem Schreiben um eine rhetorische Meisterleistung meines Großvaters handelt:

Nürnberg, 25. August 1933

Sehr geehrter

Herr Oberbürgermeister

Willy Liebel!.

Betreff: Mack Franz, geb. 4.12.94

Stadtratsoberassistent bei W. (W. steht vermutlich für Wohlfahrtsamt, C.M.)

Die energische, zielgerade und gerechte Art ihrer Geschäftsführung geben mir den Mut, mich mit einem Anliegen an Sie zu wenden.

Kurz gefasst: Ich weiss, dass Kräfte am Werke sind, die mir den Stempel der nationalen Unzuverlässigkeit aufdrücken wollen. Von den Voraussetzungen hierzu hat man einen Splitter gefunden (möglicherweise Anspielung auf Franz‘ Granatsplitterverletzung im Mai 1917, C.M.). Neben allgemein gehaltenen Vorwürfen noch ein anfangs Juni 33 ausgesprochnes Wort (gemeint ist der Ausspruch „Krampf und Aufbau“ anstelle von „Kampf und Aufbau“, der Franz vorgeworfen wurde, C.M.), gegen dessen Unterstellung ich mich genauso wundere wie über das Mass von Beschränktheit das mir damit zugemutet wird.

Ich habe bereits meinen Lebenslauf als Entlastungsbeweis angeboten. Ich habe erwähnt wie ich im Betrieb als Arbeiter Vorbild sein wollte dafür, dass die grösste Partei das deutsche Volk und Deutschland sei. Deutschland war mir der Sinn harter Arbeit von Jugend auf, für Kasernenhof- und Kriegsdienst. Der Begriff: „Deutschland“ presste mir die Hand an den Gewehrschaft, ich knirschte das Wort als ich von deutscher Granate getroffen, in regenschwerer Nacht im schlammigen Trichterfeld lag. Sechzehn Monate Lazarettzeit, zwei Operationen, meine unangenehme Verwundungsfolgen entschuldigt ein Wort: „Deutschland“.

Warum sind Sie dann bei der SPD gewesen?, Warum waren Sie nicht schon lange bei der NSDAP? So höre ich Herrn Oberbürgermeister fragen.

Wie und wann ich zur SPD kam, habe ich schon am 31. Juli dargelegt. Die zweite Frage werde ich in aller Offenheit beantworten. Ich hatte bis zum Jahre 1927 meinen gelernten Beruf als Lederzuschneider in den Ver.(einigten, C.M.) Schuhfabriken (Berneis-Wessels, C.M.) ausgeübt. Die Folgen meiner 70 % igen Kriegsbeschädigung zwangen mich zu einem Berufswechsel, den ich mit Hilfe des Beamtenscheines im Jahre 1928 vornehmen konnte. Ich sah wie jeder andere Arbeiter im verflossenen Reiche auf der einen Seite den sich zankenden und dabei sterbenden Parteienstaat (gemeint ist die Weimarer Republik, C.M.) und auf der anderen Seite die aufblühende nationale Bewegung (gemeint ist die NSDAP, C.M.) Im Herzen ganz zum Volkstum und zum Neuen hingezogen liess eine Frage den Arbeiter passiv bleiben, nämlich die, ob hinter dem nationalen Gedanken wieder die wirtschaftlichen Begleiterscheinungen des Vorkriegsdeutschlands (gemeint ist die Zeit des Kaiserreichs vor dem Ersten Weltkrieg, C.M.) – Unternehmenswillkür, 10 – 12 stündige Arbeitszeit, Hinterhauswohnungen und 4. Stand in der menschl.Gesellschaft – auf den Arbeiter warten. Die Reden der führenden Männer des neuen Deutschlands in Presse, Funk, Versammlungen und Sprechabenden verhalfen mir zwar diese Bedenken niederzukämpfen, da kam das letzte Hindernis. Die Frage, was ist edler, eine sterbende Sache zu verlassen oder bis zu ihrem natürlichen, absehbaren Tode bei ihr auszuhalten liess mich passiv. Konjunkturlorberen kann ich mir nicht verdienen. Her Oberbürgermeister sprachen mir im Herkulessaal und Kolloseum (gemeint sein könnte die Kongresshalle des Reichsparteitagsgeländes in Nürnberg, C.M.) aus dem Herzen als Sie die geisselten die am 11. November 1918 (Datum des Waffenstillstandes im Ersten Weltkrieg, C.M.) 100 % ige Sozialdemokraten und am 30. Januar 33 (Datum der so genannten „Machtergreifung“ Hitlers = der Tag, an dem er zum Reichskanzler ernannt wurde, C.M.) ebenso volle Nationalsozialisten waren.

Damit habe ich mein Wesen und meine Einstellung dargelegt. Eine Gegnerschaft zum neuen Staat brauche ich nicht erst aus Gründen der Vernunft verneinen. Die Volksgemeinschaft, die Herr Reichskanzler Adolf Hitler schuf, habe ich schon immer gewünscht aber nicht für möglich gehalten.

Ich lege meine Sache vertrauensvoll in die Hände des Herrn Oberbürgermeisters. Es kann niemand sagen, dass ich jemals mehr wie ein schlicht zahlendes Mitglied der SPD war. Agitator, Reichsbannerangehöriger war ich nicht. Mein Leitstern war Arbeit und Pflicht. Ich habe in kurzer Zeit die Prüfung für den mittleren Staats- und Gemeindeverwaltungsdienst abgelegt und bestanden und mir die (sic, C.M.) immer die größte Mühe gegeben mit beschädigtem Körper meine Stelle ganz auszufüllen.

Einmal in meinem Leben, am 8. Mai 1917, wurde ich in dem Augenblick in den ich mit gefällten Seitengewehr (anderes Wort für Bajonett, C.M.) auf den Feind zustürmte von einer deutschen Granate in den Rücken getroffen, ich vertraue auf Ihnen, dass ich nicht ein zweites mal von denen getroffen werde, für die ich zu streiten bereit bin.

Heil Hitler!

[Hier klicken, um das Originaldokument zu öffnen]

Franz‘ Strategie, die er mit diesem Schreiben verfolgt, ist bemerkenswert: Er stellt seinen Kriegsdienst, also die zwei Jahre, in denen er sich für sein Vaterland an der Schützengabenfront permanent in Lebensgefahr begeben hat und die ihn seine Gesundheit gekostet haben, in den Vordergrund. Sein „Opfer“ für’s Vaterland soll als Beweis seiner „nationalen Zuverlässigkeit“ als Beamter dienen. Interessanter Weise erwähnt er seine Auszeichnungen (Eisernes Kreuz, Verwundetenabezeichen und Militärverdienstkreuz) nicht, streicht aber heraus, dass es 1917 ausgerechnet eine fehlgeleitete deutsche Granate war, die seine schwere Verwundung hervorgerufen hatte und zieht nun Parallelen zur Denunziation durch einen „Volksgenossen“, die in seinen Augen ebenso hinterrücks geschah, während er sich eigentlich um sein Land bzw. seine Stadt verdient machen wollte.

Seine Mitgliedschaft in der SPD erklärt er nicht erneut, legt aber dar, warum er die Partei nicht verlassen hatte. Als Grund hierfür gibt er Trägheit an – ganz so als ginge er nicht mehr ins Fitnessstudio, sei aber gleichzeitig zu faul, die Mitgliedschaft dort zu kündigen.

Zentraler Ankerpunkt seiner Argumentation bleibt aber sein Veteranenstatus und die Art und Weise wie er seinen Adressaten damit anspricht.

Wer war Willy Liebel?

Willy Liebel (Foto: Wikipedia/Manfred Riebe)
Willy Liebel (Foto: Wikipedia/Manfred Riebe)

Dass Franz sich mit dem Oberbürgermeister an seinen obersten Dienstherren wendet, zeigt den Ernst der Lage, in der er sich befand. Erwähnenswert ist, dass Liebel zum Zeitpunkt der Denunziation von Franz noch relativ neu im Amt des OB war: Erst am 16. März 1933 war der NSDAP-Mann Liebel illegitimer Oberbürgermeister geworden, zwei Tage bevor der gewählte OB der Stadt, Hermann Luppe (Mitglied der linksliberalen Deutschen Demokratischen Partei, kurz DDP) von den Nazis aus dem Amt gezwungen wurde.

Der neue Bürgermeister, Willy Liebel, war ein Nazi „der ersten Stunde“: Seit 1925 Parteimitglied, später im Range eines SA-Obergruppenführers. Außerdem entstammte er einer Drucker-Familie, in deren Betrieb NS-Zeitrschriften und zeitweise sogar das berüchtigte antisemitische Hetzblatt „Der Stürmer“ gedruckt wurden. Mit dem Herausgeber des „Stürmers“, Julius Streicher, geriet Liebel übrigens wenig später in Feindschaft. Als Bürgermeister war er an der Deportation der Nürnberger Juden ebenso beteiligt, wie an der Ausgestaltung Nürnbergs zur NS-Hochburg.

Warum erhoffte sich Franz also ausgerechnet Rückendeckung von einem strammen Nazi, der Liebel ja auch zu diesem Zeitpunkt schon war? Die Antwort auf dieser Frage liegt in der gemeinsamen Vergangenheit von Franz und Willy Liebel. Beide waren Frontsoldaten im Ersten Weltkrieg, beide wurden mehrfach im Weltkrieg schwer verwundet, beide waren Träger des Eisernen Kreuzes und gehörten der kurz vor der Jahrhundertwende geborenen Generation an.

Wenn Franz also bei jemandem mit seinem Veteranenstatus punkten konnte, dann bei Liebel.

Tatsächlich scheint Franz‘ Kalkül auch aufgegangen zu sein, denn nach dessen Brief an Liebel scheint die Affäre um den „Marxisten“ Mack abgeflaut zu sein. Jedenfalls finden sich in seiner Personalakte keine weiteren Einträge mehr zu diesem Thema.

Erwähnenswert ist im Übrigen noch, dass der Nazibürgermeister Liebel nach seiner „Amtsergreifung“ mit der vorhandenen Beamtenschaft Nürnbergs offenbar vergleichsweise gnädig umging: Beamte, die politisch nicht auf NS-Linie waren, durften bleiben (es sei denn, sie waren Juden; mehr zur Liebel hier). Auch dieser Umstand dürfte Franz entgegengekommen sein.

Abschließend noch eine persönliche Einschätzung zu den Vorwürfen:

Franz mit unbekanntem Wehrmachtsoldat in den 40er Jahren.
Franz mit unbekanntem Wehrmachtsoldat in den 40er Jahren.

Nach allem was ich über Opa Franz weiß, war er sicher kein Marxist. Als Veteran des Ersten Weltkrieges wird ihn die Niederlage 1918 geschmerzt und auch die revolutionäre Stimmung nach dem Ersten Weltkrieg in Nürnberg dürfte ihn eher abgestoßen als angezogen haben. Dennoch war er Arbeiter durch und durch: Sein Vater war langjähriges SPD-Mitglied und auch Franz war Sozialdemokrat. Außerdem engagierte er sich in seiner Zeit in der Schuhfabrik als Gründer und Vorstand eines Pensionssparvereins. Franz zeigte also schon früh ein gewisses Klassenbewusstsein und legte sich auch gerne noch bis ins hohe Alter mit

Obrigkeiten an.Die Verballhornung „Krampf und Aufbau“ traue ich meinem Großvater ohne weiteres zu – schließlich entsprach sie genau seiner Art von Humor.

Glück für Franz also, dass seine Kollegen als Zeugen für ihn die Kohlen aus dem Feuer holten. Einer der Kollegen, die sich für ihn in der „Marxismus-Affäre“ verbürgten wurde später übrigens (nach dem Zweiten Weltkrieg) einer seiner Trauzeugen.

Franz Distanzierung von der SPD war also lediglich Selbstschutz. Nach dem Zweiten Weltkrieg sollte ihm seine Mitgliedschaft bei den Sozialdemokraten dann nützlich werden: Da er nie in die NSDAP eintrat und auch sonst nicht als Nazi auffällig wurde (Mitglied war er in der Nationalsozialistischen Volkswohlfahrt, der NS-Kriegopferversorgung und im Reichsbund deutscher Beamter, siehe Entnazifizierungsbogen unten), galt er nach dem Krieg als unbelastet und konnte Karriere beim Marktamt machen, wo er bis zum Verwaltungsoberinspektor aufstieg – nicht schlecht für einen gelernten Schuster.

entnazifizierungsbogen

Enkel von Franz Mack. Studierter Historiker, ausgebildeter Journalist, Blogger und Autor. Dreht Filme als dervideograf.de.

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